„Ganz unterschiedliche Ansätze“. Ein Interview mit EvaMaria Koch und Hans Wagenmann, den Verantwortlichen des Online-Eurythmiefestivals „Wir arbeiten trotzdem. Patchwork 2020, Gleis 2“. Was ist ein Festival, nachdem es stattgefunden hat und nicht mehr zu wiederholen ist? Zu einem kann es sicherlich werden, zu einem Gespräch, einer Reflexion über das Wahrgenommene und seine Bedingungen, dem was sich an Fragen und Einsichten daraus entwickeln kann. | Das Interview wurde schriftlich geführt
Andreas Hammon: Wie ist es zu dem Projekt „Wir arbeiten trotzdem. Patchwork 2020, Gleis 2“ gekommen?
EvaMaria Koch: Ich war eine der KünstlerInnen, die im Mai bei Patchwork 2020 aufgetreten wäre. Ich merkte schnell das mich die Unsicherheit, das Nichtwissen ob das Festival in Berlin stattfinden würde oder nicht, in meinem Arbeitsprozess beeinflusste. Ich wünschte mir ein Forum, einen Rahmen, in dem ich meine Arbeit würde zeigen können. Das Ergebnis war sozusagen Teil meines Prozesses. Ich wendete mich mit der Frage, wie ein alternatives Festival-Format aussehen könnte, an Birgit Hering, die Patchwork initiiert hat und seit Jahren organisiert. Sie brachte Hans Wagenmann mit ins Boot, und in Gesprächen zu dritt entstand der Entwurf für „Wir arbeiten trotzdem. Patchwork 2020, Gleis 2“, der dann von Hans Wagenmann und mir ausgestaltet und realisiert wurde.
Hans Wagenmann: Von Anfang an waren EvaMaria Koch und ich in der spannungsreichen Position, dieses Projekt zu verantworten und gestalten, wie auch eigene künstlerische Positionen in es einzubringen.
AH: Die Situation von für Bühnen erarbeiteten Projekte unterscheidet sich deutlich von den speziell für „Wir arbeiten trotzdem. Patchwork 2020, Gleis 2“ produzierten Videoarbeiten. Könnt ihr die Unterschiede der Beiträge beschreiben?
HW: In unserer Einladung an die KünstlerInnen war die Rede davon, das abgesagte Patchwork Festival 2020 nicht zu ersetzen, sondern aus dem Mangel, dass es nicht stattfinden konnte, ein Format vorzuschlagen, das Online stattfinden würde, zu deutlich abgegrenzten Zeiten, die der Anfang und das Ende des Patchwork Festivals gewesen wären. Das Verbindende der Einladung war, künstlerische Arbeiten für dieses Format zu schaffen. Die Mittel dafür – ob Videos, Fotos oder Texte – waren freigegeben. Eine Auswahl der Arbeiten wurde von uns nicht getroffen. So wurden künstlerische Projekte eingereicht, die von Probenfotos, über einen Trailer und einem Teaser von Eurythmie-Programmen bis zu eigenständigen Videoarbeiten reichten.
EMK: Die neun eingereichten Beiträge waren sehr verschieden! Diejenigen, die sich entschieden hatten mit Video zu arbeiten, haben ganz unterschiedliche Ansätze gewählt. Lisa Blöchle produzierte z.B. einen Teaser zu ihrem Stück „InSicht“, eine Einführung in ihre Produktion, mit Hintergrundinformationen und Einblicken. Diese Einblicke bekomme ich als Zuschauerin sonst nur in KünstlerInnen-Gesprächen, in Einführungen, oder im Programmtext, dort aber in Form von Wort und Text, nicht visuell bewegt gestaltet.
Tatjana Rudenko und Marthy Hecker hatten sich bereits zu Beginn des Lockdowns dazu entschieden, ihr vorhandenes Bühnenstück „Global Village“ in eine Serie umzuarbeiten, die in den nächsten Monaten auf YouTube veröffentlicht werden wird. Die beiden standen vor der Herausforderung aus ihrem Eurythmiestück passende Sequenzen herauszuarbeiten, ihr bereits vorhandenes Bewegungsmaterial an konkreten Schauplätzen zu adaptieren, einzufangen und zu bearbeiten. Das waren Beispiele für Beiträge, in denen vorhandenes Material neu arrangiert wurde, es gab auch Beiträge die extra für „Wir arbeiten trotzdem. Patchwork 2020, Gleis 2“ produziert wurden und die jeweils auch ganz verschiedene Ansätze hatten. Hier möchte ich als Beispiel Thomas Feyerabend nennen. Er produzierte mit einfachen technischen Mitteln „brainstorm 2, 3 und 4“, drei Videos, die gemeinsam mit einem Text auf der Website erschienen. Der Text gab in sprachlicher Form Einblicke in das Innenleben des Künstlers in Isolation. Die Videos zeigten Thomas Feyerabend bei Explorationen in seiner Wohnung und die Perspektive eines Fahrradfahrers in einem Tunnel voller Fußgänger und Radverkehr auf dem Weg zu einer Waldlichtung – Orte in Wuppertal an denen er sich während der Zeit des Lockdowns aufhielt. Ich las die Performances als ein Auseinandersetzen, Erweitern und Neucodieren von Bekanntem. Ich war als Zuschauerin in den intimen Bereich der eigenen vier Wände eingeladen, durch den begleitenden Text entstanden für mich Korrespondenzen zwischen dem äußeren und dem inneren Raum, was mir weitere Spiel- und Gedankenräume eröffnete.
Als letztes Beispiel möchte ich den Beitrag „Die Heckenrose blüht“ von Liudmila Troickaja nennen, eine Collage über und mit Texten von Anna Achmatova. Der Ansatz war, ähnlich wie bei Lisa Blöchle, ein Einblick in ein aktuelles Eurythmieprogramm. Sie kreierte, ohne mit dem Medium Video zu arbeiten, stimmungsvolle, bewegte Eindrücke. In einer Collage wechselten sich Gedichte und Reflektionen, im Klangraum einer Komposition von Joaquín Turina/Luca Lombardi, mit Fotos der Dichterin sowie Fotos von Liudmila Troickaja beim Eurythmisieren ab.
AH: Als Organisatoren habt ihr ein Thema gesetzt. „Wir arbeiten trotzdem“. Was waren die Motive, Hintergründe dafür?
EMK: In den Anfangsgesprächen suchten wir nach einem Motto. Es sollte etwas sein, das erlaubte, das „jetzt“ der Corona-Pandemie und ihren Folgen, die daraus resultierenden Unsicherheiten abzubilden. Einblicke in Arbeitsprozesse, Entwürfe und Skizzen, der Umgang mit der Situation. Fragen, die wir uns als KünstlerInnen, als Menschen in der Pandemie stellen, sollten in diesem Format Platz haben. So kamen wir zu „Wir arbeiten trotzdem.“
HW: Das „Wir arbeiten trotzdem“, war dabei nicht vorrangig eine Rebellion, sondern für mich eine Betonung an die Kraft, die Wirksamkeit von Kunst, sich mit Widerständen auseinanderzusetzen, mit ihrem eigenen Potential der Widerständigkeit zu arbeiten, in der der persönliche und gemeinschaftliche Mangel, keine unmittelbare Resonanzerfahrung zu einem Publikum hin zu erfahren, für das man auftritt, bzw. für den Zuschauer, dies unmittelbar, in einem gemeinsamen Raum zum Künstler hin zu erleben, zu einer Suche nach einem „Trotzdem“ wurde.
AH: Wie war die Resonanz des Publikums auf dieses Format?
HW: Diese Frage ist sehr schwer zu beantworten und sie hat unmittelbar mit dem Format eines Onlineprojektes zu tun, auch wenn es die, leider wenig genutzte Möglichkeit gab zu jedem Beitrag einen oder mehrere Kommentare zu schreiben. Es gab insgesamt 513 Aufrufe der Website. Aber was sagt das aus? Eine Zahl, die wenig darüber aussagt, wie viele Menschen tatsächlich die Beiträge gesehen und wenn ja, ob alle. Denn in diesem Medium kann man sich, anders als im Theater, unmittelbar einem Beitrag entziehen. Es fehlt ebenso die unmittelbare Reaktion des Publikums, schon während des Auftritts und nicht allein im Applaus, der hier natürlich auch fehlte. Es ist also in diesem Medium ein Auftritt, dem das Körperliche des Gegenübers fehlt. Es fehlt damit auch eine Resonanz, die keiner Schriftlichkeit oder der Stimme eines Freundes bedarf. Mit diesem Mangel ist umzugehen. Viele Künstler anderer Sparten kennen dieses Phänomen, sind einmal Vernissagen oder Lesungen vorbei.
AH: Welche Möglichkeiten eröffnen sich, über das erprobte Format hinaus für die eurythmische Videographie?
HW: Aus meiner Sicht, ich beschäftige mich mit der Frage von Tanz, Eurythmie, Choreographie, Raum und Video seit 2005, beginnen sich in dieser Arbeit andere Perspektiven zu öffnen, im Zusammenspiel von eurythmischer Bewegung und einer Aufnahme durch eine Videokamera, in der Zusammenarbeit mit einer Videokünstlerin; sowohl für Zuschauer, wie für Performende, wie für die Eurythmie selbst. Perspektiven, die in klassischen Bühnenräumen, in denen die allermeisten Eurythmie-Aufführungen, seit ihrem Beginn vor über 100 Jahr stattfinden, so nicht möglich sind. Es öffnen sich die Räume von Wohnungen, Orte der Natur, von städtischen und industriellen und postindustriellen Räumen, die ein Gegenüber eines körperlich anwesenden Zuschauers nicht mehr zulassen oder bedürfen, sondern die Frage nach einem Raum, einem Umraum stellen, der einerseits begrenzt oder unbegrenzt ist und andererseits den Bewegenden durchdringt. Es öffnen sich damit unerwartete Räume auf einer Bühne. Wie dies geschieht, hängt auch von der jeweiligen Position der Kamera ab und wie auf diese Bezug oder bewusst kein Bezug genommen wird. Dadurch entstehen Möglichkeiten der Ferne, aber auch der Intimität zu eurythmischen Tänzern, die darin immer auch, so mein Erfahren, eine gesellschaftliche Positionierung in sich tragen. Das ist aber für mich nur eine Seite, denn andererseits ist das Persönliche und Private eines Tänzers, bis in seine Körperlichkeit anders wahrnehmbar und gestaltbar, gerade auch durch die Distanz, die eine Videoaufnahme möglich macht. Eine Distanz, die nicht allein räumlich, sondern ebenso zeitlich ist. Denn der Wahrnehmende sieht eine solche Arbeit zu einem anderen Zeitpunkt, als sie aufgenommen wurde. In all diesem liegen für mich große Chancen mit eurythmischer Bewegung künstlerisch umzugehen, jenseits einer Dokumentation oder Aufzeichnung. Denn mit der Aufnahme des Videos endet ja das Werk oder die Performance nicht, sondert tritt ein in den erneut choreographischen Moment, eine Aufnahme zu schneiden oder sich bewusst diesem Schritt zu verweigern und diese Schnitte direkt in die Choreographie oder die Raumsituation der Aufnahme zu integrieren. In all diesem liegen Möglichkeiten eurythmischer Videographie. Ich arbeite an ihr weiter. Wie, das wird sich weisen, auch darin welche Namen und Begriffe sich für eine solche künstlerische Auseinandersetzung finden werden. Ich bin gespannt, wie sich das Interesse an solchen Arbeitsprozessen in den nächsten Jahren gestalten wird. Ein offener, bewegter Raum, der in Post-Corona-Zeiten oder einem erweiterten Umgang mit dieser Krise seine Relevanz nicht verlieren wird, so zumindest meine Einschätzung. Ich freue mich in gleicher Weise aber auch auf Arbeiten auf einer Bühne, mit Publikum. Diese fehlen in dieser außergewöhnlichen Zeit.
EMK: Persönlich kann ich ergänzen: ich beobachte, dass sich bereits nach dieser ersten Arbeit mit dem Medium Video und durch die Möglichkeiten der Filmbearbeitung, mein Sehen und mein Verständnis von Komposition erweitert haben. Ich erlebe das wie eine Schärfung, oder Erweiterung meiner Sinne durch die technischen Möglichkeiten und sehe darin viel Potenzial für meine weitere Arbeit mit und ohne Kamera. Darüber hinaus sehe ich Möglichkeiten, dass durch die „Filmkunst“, ich meine damit die Kunst zu Filmen, die Möglichkeiten, die sich dadurch eröffnen und durch die Verbreitung dieser Kunstwerke durch das Internet, Eurythmie einem anderen Publikum als bisher zugänglich gemacht werden kann. Mich fasziniert dabei auch das „Zusammenkommen“ von Menschen über zeitliche und räumliche Grenzen hinweg. „Wir arbeiten trotzdem. Patchwork 2020, Gleis 2“ haben z.B. Freunde aus Dänemark und den Niederlanden wahrgenommen, die nicht nach Berlin gekommen wären. Daraus sind sehr bereichernde Gespräche, Anregungen und konkrete nächste Arbeitsschritte entstanden. Diese Möglichkeiten möchte ich mehr nutzten – nicht um eine gemeinsame Probe oder ein Festival zu ersetzen, aber um meine Arbeit um die genannten positive Effekte zu ergänzen und weitere zu entdecken.
Weitere Informationen: Teilnehmende KünstlerInnen an „Wir arbeiten trotzdem. Patchwork 2020, Gleis 2“ waren: Lisa Blöchle, Thomas Feyerabend, Bettina Grube & Roswitha Meyer-Wahl, Marthy Hecker & Tatjana Rudenko, Milena Hendel, EvaMaria Koch, Flavia Tomescu & Taisuke Sasaki, Liudmila Troickaja und Hans Wagenmann. Das Online-Eurythmiefestival hat stattgefunden vom 8. bis 10. Mai 2020 und war unter der Website www.gleis2.org abrufbar.