Heimaten
Hans Wagenmann
Heimaten. Wäre das ein Verb, ein vererbtes Trauma, das Wort vom Vater, des „Königs in Thule“, – ein möglicher Boden, ein Seilwurf? Ein Arm der hinabfällt, sich beugt. Ein Fuß der Sand oder Schnee zusammenkehrt. Eine Hand, die sich öffnet. Ein Name der sich verliert, wie ausspricht.
Heimaten setzt sich bewusst in seiner Thematik einer ästhetischen Setzung aus, die sich einem ersten Verstehen entzieht und begreift sich damit auch als ein politisches Geschehen, als ein mögliches, hervorkommendes Bild vom Angesicht eines Menschen, seines Handelns. Es werden choreographische Augenblicke erfahrbar, die etwas preisgeben, das Asyl bieten könnte. Lebensfäden, die einzeln, wie zueinander verbunden flüchtige und andauernde Momente des Heimaten öffnen, wie benennen.
Es lebt sich darin ein Erinnern mit, an den vor mehr als zwanzig Jahren eurythmisch dargestellten Text „Der König in Thule“ von J. W. v. Goethe, der jetzigen Erfahrung im Umgang mit einzelnen Fragmenten dieses Textes. Fragmente, die im Verlauf der Choreographie verborgen, wie offener zu Tage treten und die Frage stellen, wie der Umgang mit Vergangenem, Mitgebrachtem das je aktuell neu aufzugreifende Vertrauen in Heimaten prägt.
Kritik
aus: Das Goetheanum, Nr. 46, 13. November 2015
Gehen- Sprechen-Fliehen: „Inmitten der teilhabende Mensch“
Andreas Laudert im Gespräch mit Hans Wagenmann.
1 Die Spur spüren. Ich muss zurück an den Punkt, wo Sprachlichkeit entsteht, wo Bewegung entsteht, wo Teilhabe entsteht. Selber der Flüchtlingsstrom sein. Ich muss mich in die Ungewissheit einer Fluchtbewegung begeben, um der Sache, um die es mir geht, wieder zu begegnen. Ich muss auch heimatlos sein auf der Bühne, um dem Blick eines Anderen Heimat zu geben, damit er neu wahrnehmen kann.
2 Das Nomadische lebt in mir, das Sich-Aussetzen. Es gibt Höhenzüge im Odenwald, da hatte ich das Gefühl, es gehen – historisch – Flüchtlingsströme durch mich durch. Sie fragten mich etwas. Sie fragen nach dem, was ich tue, nach dem Sinn meiner Arbeit. Ich fühlte Schutzlosigkeit beim Schreiben. Ob Worte ankommen und nicht stranden. Ich habe Scheu und Respekt vor dem, was mir entgegenkommt – aus dem nicht mehr Leibgestützten, aus nicht mehr der Tradition, sondern aus dem, was Leib sucht. Gehen ist für mich der Anfang – der Anfang der Eurythmie, der Anfang des Tanzes. Der Anfang der Wahrnehmung?
3 Die Flüchtlingsströme sind ein Wahrnehmungsorgan für den gemeinsamen Raum. Könnt ihr mir das Gehen zeigen? Kann ich in eurem Gehen sein? Ohne Heimatlosigkeit kann ich nicht lehren, kann ich nichts lernen. Es gibt im Inneren ein Vertrauen, das mir diese Heimatlosigkeit ermöglicht. Es kommen Menschen, die uns durch ihre Bewegung etwas voraushaben. Es kommen Hunderttausende von Eingeweihten. Bin ich mir bewusst, wo ich Grenzen bilde? Wo gehe ich zu weit und enge dadurch ein? Wie entwickle ich die Fähigkeit, in mir ein Zentrum zu finden, wo die Welt sich mir erzählt? Wenn man sich verändert, tritt Heimatlosigkeit auf. Ob der Boden trägt? Auf Glatteis gehen. Manchmal durchsichtig in die Tiefe. Ein Land, eine Landschaft, eine Szenerie, die sich nicht verändern will, wird verändert.
Andreas Laudert
Facts
Premiere
im Rahmen des Patchwork Festival 2018, am 4. und 5. Mai 2018, 20Uhr, TheaterForum Kreuzberg, Berlin
Credits
Konzept, Choreographie, Performance u. Eurythmie
Hans Wagenmann
Künstlerische Begleitung
Tanja Striezel u. Jona Lindermayer
Dank
Valentin Mauser, Pierre Rey u. Harald Schwaetzer, Alanus-Hochschule Alfter für das Nutzen ihrer Probenräume
Künstler:innen
Hans Wagenmann
Hans Wagenmann (geb. 1967) Eurythmist in sozialen, kulturellen, künstlerischen und wissenschaftlichen Kontexten Inter- und transdisziplinäre Forschung…
Veranstaltungen
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