Der 6. Abend in dieser Reihe.
„… Es war der Moment des Nichtwollens, der Hingabe. Da ist für mich das Ätherische. …“
Resonanz aus dem Salon-Publikum zum „Schubert“
Wie zwei Wächter, wie zwei Säulen erscheinen mir die beiden als sie in schlicht-schicker Alltagskleidung beginnen zu erzählen; daneben wie zwei vor Aufregung und Freude gespannte Kinder als sie in Kleid und Schleier zuvor auf der Bühne begrüßt werden.
„Es ist ur-scharf hier zu sein!“, sprudelt es aus Stefan heraus. Er bezieht sich damit zum einen auf den Ort – das Rudolf-Steiner-Haus in Hamburg, in dem die beiden selbst jahrelang gearbeitet und gewirkt haben – und zum anderen auf die ihnen langjährig bekannten und vertrauten Gesichter im Publikum.
Tanja Masukowitz und Stefan Hasler eröffnen ihren Salon mit einer eurythmischen Umsetzung eines Schubert Satzes [2. Satz (Andante sostenuto) aus der Klaviersonate in B-Dur von Franz Schubert]; mit Alan Newcombe am Flügel. Das Zusammenschwingen der drei beeindruckt mich; keine Spur davon, dass Alan in diesem Stück zum ersten Mal mit ihnen spielt. Im Nachklang erinnere ich, dass sich in den ruhigeren Momenten des Stückes für mich der Zwischenraum ausgedehnt und verbunden hat: Die Substanz zwischen Stefan und Tanja umspannte sie beide; ich erlebte sie in einem vertrauensvollen Sein miteinander.
31 Jahre nach ihrer ersten Begegnung – zu dieser Zeit beide Studierende an der Eurythmieschule Hamburg – stellen Tanja und Stefan fest: Sie sind noch immer ein Arbeitsduo. Ihre Wege mit der Eurythmie führten sie immer wieder an dieselben Orte: Von Hamburg über Alfter (Bonn) nach Dornach. „Als Stefan, Rucksack bepackt, in Alfter an meinem Fenster vorbeilief, dachte ich: So das war‘s!“, beschreibt Tanja. Doch drei Jahre später folgt sie ihm zum Goetheanum (Dornach), wo die beiden bis heute gemeinsam im Eurythmie-Ensemble der dortigen Bühne arbeiten.
„Tanja fand mich früher blöd“, erzählt Stefan lachend. Ein Liebesverhältnis haben die beiden nicht, stellt Tanja klar, um dieses wiederkehrende Gerücht mal aus der Welt zu schaffen. Aber sie haben gemeinsame Fragen an die Eurythmie, die sie beieinander halten, obwohl oder gerade weil da zwei ur-unterschiedliche Typen aufeinander treffen, was sich an diesem Abend sehr sprechend zeigt: Tanja spricht mit Ruhe und Atem, überlegend, Worte suchend, um Worte ringend, kernig; Stefan dagegen energisch, schnell und voraus. Als Tanja ihre Zusammenarbeit beschreibt, benennt sie sich als die „Innen-Ministerin“ und Stefan als den „Außen-Minister“; beide mit großer Dankbarkeit für die jeweils andere Qualität. Die Aufgaben des Außenministers umfassten u.a. Projektentwicklung, Kontaktpflege und Strategisches, die der Innenministerin Mitarbeiter- und Studierendenpflege, Konferenzgestaltung und Koordination. „Ich bin sehr dankbar, dass Tanja die Ruhe für die menschliche Zusammenarbeit wirklich hat“, ergänzt Stefan, aus vollem Herzen.
Welche Fragen und Motive haben die beiden beieinander gehalten?
Die Befragung des Ätherischen: „Um was geht es im Ätherischen eigentlich?“
Als Ausbilderin in Hamburg und Alfter lag Tanjas Fokus auf der Frage: „Wie kann ich die Lebendigkeit des Menschen bestmöglich zum Schwingen bringen, sodass es durch-schwingt, sodass der Leib der EurythmistInnen als Instrument in allen Facetten bespielbar wird?“ Als Bühnenkünstlerin gehe es für sie zusätzlich zum „den Leib als eigenes Instrument ergreifen“, um den Dialog zwischen Leib und dem lautlichen (Sprache) oder tonlichen (Musik) Werk.
Für Stefan ist das in der Ausbildung die erste Frage: Was ist überhaupt der Angang der Eurythmie an ein Musikstück? Aus seinem Background als professioneller Musiker, Pianist und Dirigent kennt er bereits Wege, um ein Musikstück auszudrücken und erlebbar zu machen. Welche weiteren Türen kann also die Eurythmie in der Musik öffnen? Bei der Bühnenarbeit lenkt er seinen Blick mehr auf das „Schwingende“ und fragt sich, wie das Ätherische Träger des Seelischen werden kann. In ihren Arbeits-Foki zeigt sich hier eine Kreuzung: Was Tanjas Leitfrage in der Ausbildung ist, beschäftigt Stefan vor allem auf der Bühne, und anders herum. Das lässt zum einen die Verwobenheit und Bedingtheit der Fragen miteinander erahnen, und zum anderen wird deutlich, dass Stefan und Tanja, aus unterschiedlichen Richtungen kommend, um dieselben Fragen kreisen.
„Ich bin bewegt. …Es ist ein Raum, in dem ich ganz anders wahrnehmen kann…. Es war der Moment des Nichtwollens, der Hingabe. Da ist für mich das Ätherische…… Es ist etwas angesprochen, was über die klassischen Sinne hinausgeht. Ein Nach-Innen-Schauen und wieder nach Außen-Gehen.“
Resonanz aus dem Salon-Publikum zum „Schubert“
Zukunft der Ausbildung: „Die Einbettung der Eurythmie in den gesellschaftlichen Kontext“
Die Zeit in Alfter war geprägt durch den Wunsch die Eurythmie-Ausbildung von der Schublade „Orchideen-Fach“ zu befreien, ihr konkret durch die staatliche Anerkennung einen äußeren Rahmen für ihre gesellschaftliche Relevanz zu geben. Trotz drastischen Reaktionen aus der eigenen Szene, man würde die Eurythmie dem staatlichen Druck zum Fraß vorwerfen, erreichen Tanja und Stefan die erste Akkreditierung der Bachelor- und Master-Studiengänge der Eurythmie an der Alanus Hochschule. Es ist ein deutliches Statement die Eurythmie in der Studiengangsliste zwischen BWL, Architektur, Schauspiel, Bildhauerei etc. wieder zu finden. Ein Schritt in die Gesellschaft, ein in- Kontakt-gehen mit „Außen“ und eine Geste für den Austausch verschiedener Disziplinen bekommt hier Raum.
Arbeitsgemeinschaften: „Welcher Pool an Menschen macht welche Arbeit möglich?“
Sowohl in Hamburg und Alfter, als auch in Dornach sind Tanja und Stefan an der Findung von neuen Arbeitsgemeinschaften, also Kollegien oder Ensembles, beteiligt. Im Rückblick erkennen sie, dass ihnen dabei vor allem eines wichtig ist: Buntheit. Vielfarbigkeit. Sie wollen Menschen mit einer möglichst großen Vielfalt an fachlicher und menschlicher Kompetenz zusammenbringen: möglichst divers in Alter, Eurythmieausbildung, Bewegungsqualität, Gestalt, usw. Diese Suche rückt die Konstellation einer Gruppe in den Fokus und die wechselseitige Bereicherung verschiedener Qualitäten, die daraus erwächst.
Und was treibt die beiden heute um?
Tanja widmet sich voll und ganz der Bühnenkunst. Sie ist im Leitungsteam des Goetheanum Eurythmie Ensembles und leitet dessen Koordination. Stefan arbeitet neben seiner Bühnentätigkeit bereichs- und länderübergreifend; er ist involviert in die Betriebsleitung des Goetheanums, er leitet die Sektion für Redende und Musizierende Künste, und er forscht am Nachlass von Rudolf Steiner und ist Mitherausgeber entsprechender Literatur. In dieser Vielfalt liegt für ihn sowohl der Dialog mit der Gegenwart, als auch der Dialog mit der Vergangenheit, der ersten Eurythmist:innen-Generation. In beiden sieht er eine soziale Frage, denn auch mit der Nachlass-Arbeit kann z.B. bisher ungehörten Stimmen der ersten Stunde ihr entsprechender Platz gegeben werden.
Werden wir bei einem Rückblick in 10 Jahren mit Stefan und Tanja 41 Jahre Arbeitsduo feiern? Lassen wir uns überraschen! Und an der Vielfalt dranbleiben.